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Frauen-Projekt Tafgrascha

Das Projekt vergibt Kleinkredite zum Aufbau einer Verdienstmöglichkeit an junge Frauen aus dem Umfeld der Jugendzentren der UJSARIO, die keine Arbeit oder Beschäftigung haben.

Damit soll Frauen geholfen werden

  • ökonomisch unabhängig zu werden: Junge Frauen erhalten die Möglichkeit, als Gruppe ein kleines Unternehmen aufzubauen, sich entsprechendes Wissen anzueignen und dadurch ein eigenständiges Einkommen zu erwirtschaften.
  • ihr Selbstbewusstsein zu stärken: Das Führen eines Unternehmens in Eigenverantwortung und das Verwalten eines Einkommens stärkt das Selbstbewusstsein der jungen Frauen und gibt ihnen die Möglichkeit zur Gestaltung einer eigenen Zukunft.
  • sich als aktive Mitglieder der Gesellschaft zu erfahren: Die jungen Frauen sind aktiv ausserhalb des engen Kreises der Familie und übernehmen im Rahmen der Möglichkeiten in den Flüchtlingslagern Verantwortung für ihren eigenen Unterhalt.

Gesellschaftlicher Hintergrund

Die Leute in den Flüchtlingslagern brauchen mehr denn je Möglichkeiten, um ein Einkommen zu erwirtschaften, denn die internationalen Hilfslieferungen (UNHCR, PAM, ECHO) können heute die Bedürfnisse der Bevölkerung nicht mehr decken. Da der Konflikt bereits so lange dauert – seit 1975 – halten sich die Geberstaaten mehr und mehr zurück, und so fehlenden diesen internationalen Hilfsorganisationen oft die notwendigen Mittel. Die Situation hat sich durch die Krise in Spanien, der ehemaligen Kolonialmacht, noch verschärft. Viele Gemeinden und Regionen Spaniens, aber auch eine grosse Zahl von Privatpersonen unterstützen die Sahraouis seit vielen Jahren. Diese Unterstützung ist spürbar zurückgegangen, was in den Lagern Probleme bringt.

Warum speziell Frauen?

Besonders dringend werden Einkommensmöglichkeiten für Frauen benötigt. Denn trotz des Grundprinzips einer egalitären Gesellschaft ohne Diskriminierungen nach Klasse, Rasse und Geschlecht der DARS und trotz der zahlreichen und wichtigen Aufgaben, welche die Frauen in den Flüchtlingslagern übernommen haben, gibt es in der sahraouischen Gesellschaft tief verankerte Vorstellungen von Frauen- und Männerrollen. Dieses klare Rollenverständnis hat mit der Dauer des Konfliktes in den letzten Jahren in Teilen der Gesellschaft sogar wieder Auftrieb erhalten.

Funktionsweise des Projektes

Das Projekt besteht aus den Produktionsgruppen und der sogenannten Core Group: den zwei sahraouischen Wirtschaftswissenschafterinnen Fatimetou Djaouda und Salka Alati.

Produktionsgruppen

Junge Frauen schliessen sich zu kleinen Gruppen von drei bis sieben Personen mit dem Ziel zusammen, gemeinsam Produkte herzustellen oder eine Dienstleistung anzubieten. Pro Gruppe kann auch eine ältere Frau mitmachen, die den jungen Frauen ihr Wissen und ihre Erfahrung weitergeben will.
Die Gruppen geben einen Produktionsvorschlag ein und stellen ein Kreditgesuch an die Core Group. Gestützt auf die eingereichten Unterlagen mit den notwendigen Informationen zur Beurteilung des geplanten Unternehmens prüfen die beiden Verantwortlichen der Core Group den Vorschlag auf seine Realisierbarkeit.

Core Group

Die Frauen der Core Group wählen pro Jahr drei bis vier Gruppen aus, die den Bedingungen entsprechen. Die Frauen erhalten darauf ein zinsloses Darlehen zum Aufbau eines Unternehmens. Zusammen mit einer der beiden Core Group-Mitarbeiterinnen erstellt die Gruppe einen Finanzierungsplan für die Rückzahlungs-Raten. Der Kredit beträgt in den meisten Fällen 1000 Euro mit einer Laufzeit von 21 Monaten, wobei während der drei ersten Monate noch keine Zahlung erfolgen muss.
Die Core Group begleitet die Produktionsgruppen als Supervisorin und steht ihnen mit Rat und Tat zur Seite. Falls notwendig unterstützt die Core Group die Frauen auch mit Weiterbildung.
Die beiden Frauen der Core Group haben in Algerien Wirtschaftswissenschaften studiert mit Spezialisierung in Management und Finanzwesen. Salka hatte schon vorher Erfahrungen im Kleinkreditwesen gemacht als lokale Verantwortliche in einem Mikrokreditprojekt des Baskenlandes. Beide Frauen sind verheiratet, Salka hat vier Kinder, ein Mädchen und drei Knaben, Fatimetou vier, zwei Knaben und Zwillingsmädchen.
Die Verantwortung als Mitglied der Core Group ist auch für die beiden sahraouischen Universitätsabgängerinnen wichtig: Diese Aufgabe gibt ihnen die Chance, in ihrem Beruf zu arbeiten, was in den Lagern sonst kaum möglich ist.

Anforderungen an die Produktion

Bedingung für einen Kredit ist, dass das Unternehmen durch die vorgesehene Produktion – oder Dienstleistung – in irgendeiner Form tatsächlich einen Mehrwert erzeugt; ausgeschlossen ist somit ein simpler Weiterverkauf von eingekaufter Ware.
Produkte und Dienstleistungen müssen auf den lokalen Markt und die Bedürfnisse der Bevölkerung in den Lagern ausgerichtet sein, nicht auf einen Absatz in Europa oder den Verkauf an «Solidaritäts-TouristInnen», welche die Lager regelmässig besuchen. Damit müssen auch die Preise den lokalen Möglichkeiten angepasst sein und nicht der Kaufkraft von EuropäerInnen.
Alle Gruppen arbeiten mit grossem Erfolg. Die meisten Gruppen produzieren heute sahraouisches Gersten-Kuskus oder geröstetes Gerstenmehl, mit dem unter anderem n’sche, eine Art sahraouische Suppe, hergestellt wird. Dies sind Produkte, die auf dem algerischen Markt bisher kaum zu finden sind, von den Sahraouis aber sehr geschätzt werden. Damit gibt es mit dem Verkauf der Produktion überhaupt keine Schwierigkeiten: Die Nachfrage ist da!

Beispiel einer Produktionsgruppe

Dekala, Mahmouda und Safia haben vor einigen Jahren mit der Produktion von geröstetem Gerstenmehl begonnen.
Gerste ist in den Lagern nur in Form von ganzen Körnern erhältlich. Sie muss erst noch gedroschen werden, um die Spelzen zu entfernen. Darauf wird ein Teil der Körner gemahlen: Daraus kann Kuskus hergestellt werden. Der andere Teil der Körner wird unter ständigem Rühren über dem Feuer geröstet, bis die Körner gleichmässig hellbraun sind, dann werden sie gemahlen: Dieses geröstete Gerstenmehl dient den Sahraouis zur Herstellung von n’sche.
Da Mahlen und Rösten der Gerste ziemlich zeitaufwendig ist, ziehen es viele Frauen vor, das fertige Mehl zu kaufen. Entsprechend gross ist die Nachfrage – das Geschäft von Dekala, Mahmouda und Safia lief von Anfang an gut. Bereits nach kurzer Zeit haben sie in der Nähe ihres Wohnhauses einen kleinen, leerstehenden Laden gemietet, um da ihre Produkte herzustellen und verkaufen zu können. Ein Jahr später haben sie nicht nur Gerste verkauft, die unmittelbare Nachbarschaft zur Schule der Dayra brachte sie auf die Idee, den Schülerinnen und Schülern eine Pausenverpflegung in Form von Znüni-Broten und Getränken zu verkaufen: ein kleines Sandwich zu 5 DA, ein grosses zu 10 DA, ein kleiner Becher mit Orangina zu 5 DA. Trotz der sehr bescheidenen Preise – 100 DA entsprechen 1 Euro – scheint sich das Geschäft zu lohnen.
Nach zwei Jahren haben die Frauen den gemieteten Laden aufgegeben und einen Produktions- und Verkaufsraum an ihr Wohnhaus angebaut, um «keine Miete bezahlen zu müssen», wie sie erklärten. Ich besuche die drei Frauen auf jeder Projektreise und freue mich immer wieder an ihrem Einsatz und ihrer Energie.

Weitere Zukunft des Projekts

Wir sind uns bewusst, dass wir mit der Förderung von einigen wenigen Frauen-Unternehmen nicht die Einkommensprobleme aller Frauen in den Flüchtlingslagern lösen werden. Aber wir haben von Anfang an gehofft, dass auch wenige, erfolgreiche Projekte einen Schneeball-Effekt auslösen könnten und weitere Frauengruppen angeregt würden, es ebenfalls zu wagen. Eine Annahme, die sich schon bald in einigen spontanen Gruppen bewahrheitet hat.
Alle Gruppen arbeiten noch immer, teils mit erstaunlichem Unternehmensgeist, wie das erwähnte Beispiel zeigt. Die Zahl der unterstützten Gruppen ist jedoch sehr bescheiden, was damit zu tun hat, dass wir nicht mehr Geld zur Verfügung hatten. Das Bedürfnis in den Lagern ist um einiges grösser. Es besteht eine umfangreiche Liste von evaluierten Gruppen, die auf einen Kredit warten, um ihre Produktion starten zu können.