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Besetzte Gebiete

Marokko hat viel im von ihm besetzten Gebiet der Westsahara investiert und hat die Städte und die Infrastruktur massiv ausgebaut. Gleichzeitig fand die Ansiedlung von Hunderttausenden von MarokkanerInnen statt, mit dem Ziel einer «Marokkanisierung der Westsahara», obschon solche Bevölkerungsumsiedlungen in besetzte Gebiete nach den Genfer Konventionen verboten sind. Mit der Umsiedlung von Menschen aus Marokko sollen Tatsachen geschaffen und ein Referendum über den Status der Westsahara verunmöglicht resp. verfälscht werden.

Diese marokkanischen SiedlerInnen profitieren von sehr günstigen Steuerbedingungen, Angestellte der öffentlichen Dienste von doppeltem Lohn. Heute leben nach Schätzungen 375’000 MarokkanerInnen und 125’000 Sahraouis in den Gebieten westlich der Mauer: Die Sahraouis sind zur Minderheit im eigenen Land geworden. Unter der marokkanischen Besetzung werden die Sahraouis ausgegrenzt und diskriminiert. Zugang zu Ausbildung und Arbeitsplätzen hat nur, wer die marokkanische Politik unterstützt. Wohnungs- und Hausbesitz ist Marokkanern vorbehalten. Lizenzen für Geschäfte und Werkstätten gibt es auch nur für Marokkaner – Sahraouis müssen Wohnraum und Geschäfte von Marokkanern mieten. Wer gegen die Besetzung protestiert, wer sich für ein Referendum oder die Unabhängigkeit einsetzt, ist ständig willkürlichen Verhaftungen, Misshandlungen und Folter ausgesetzt.
«Entweder ist jemand ein Patriot oder ein Verräter», erklärte 2009 der marokkanische König Mohamed VI.

MitläuferInnen

Nicht alle Sahraouis sind gegen die marokkanische Herrschaft, es gibt auch Sahraouis an der Seite Marokkos. Eine Reportage der Zeitschrift Jeune Afrique vom Juni 2018 berichtete von sechs sahraouischen Familien, die unter der Besatzung sehr reich geworden sind. «… Nach 1975 stützte sich Rabat auf eine einheimische Elite, um seine Ansprüche zu verteidigen. Vom Palast umworben, dienen diese lokalen Persönlichkeiten weiterhin als Trümpfe in diplomatischen Verhandlungen.» (Jeune Afrique, Juni 2018). Damit habe sich die Loyalität mit dem marokkanischen König für die Familien auch finanziell sehr gelohnt.

Proteste und Menschenrechte

Seit Beginn gab es Kundgebungen der sahraouischen Bevölkerung gegen Besetzung und Diskriminierung, so protestierten Hunderte Jugendlicher in den Jahren 1995 und 1999. Immer kam es dabei zu heftigen Zusammenstössen mit marokkanischen Sicherheitskräften, die Proteste wurden mit brutaler Gewalt niedergeschlagen und mehr als hundert Frauen und Männer verhaftet.

Seit Mai 2005 kommt es fast täglich zu Protesten in den Städten der Westsahara; sie werden von der Polizei und Armee brutal unterdrückt. Die gewaltlosen Demonstrationen halten bis heute an, Repression und willkürliche Verhaftungen durch die Besetzungsmacht sind für die Sahraouis an der Tagesordnung.

2001 war der Sahraoui Sidi Mohamed Daddache dank einer zwei Jahre dauernden internationalen Kampagne nach 23 Jahren Gefangenschaft von König Mohamed VI. begnadigt worden. Er war 1975 nach gewaltlosen Protesten gegen die Invasion Marokkos verhaftet worden.

Aminatou Haydar hatte nach gewaltlosen Protesten bereits als junge Frau drei Jahre und sieben Monate im Gefängnis verbracht. Im Oktober 2009, auf der Rückreise von New York, wo sie den Preis für Zivilcourage entgegennehmen konnte, nahmen ihr die marokkanischen Behörden auf dem Flughafen von El Aaiún den Pass ab, weil sie auf dem Einreiseformular als Staatsangehörigkeit «sahraouisch» anstatt marokkanisch angegeben hatte. In der Folge wurde sie nach Lanzarote (Kanarische Inseln, Spanien) abgeschoben. Aminatou Haydar, die zu ihren Kindern zurückkehren wollte, trat darauf auf dem Flughafen Arrecife in den Hungerstreik. Am 32. Tag ihres Streikes musste sie in ein Spital eingeliefert werden. Der Fall sorgte weltweit für grosse Aufmerksamkeit. Nach zahlreichen Interventionen wichtiger Persönlichkeiten (u.a. französischer Präsident Sarkozy) mussten Spanien und Marokko Aminatou schliesslich die Rückkehr in die Westsahara erlauben: Eine zarte Frau hatte gegen den marokkanischen König gewonnen!

Was geschah in Gdeim Izik?

Im Oktober 2010 liessen sich 200 Sahraouis zum friedlichen Protest gegen ihre Lebensbedingungen in einer improvisierten Zeltstadt bei Gdeim Izik (in der Nähe von Laâyoune) nieder. Am nächsten Tag waren es 4000, nach einer Woche bereits 20’000 Menschen, die da campierten. Sie forderten menschenwürdige Lebensbedingungen wie Zugang zu Arbeit, Wohnungen und Ausbildung.

Nach zwei Wochen umstellten marokkanische Polizei- und Armeeangehörige das Gebiet mit Militärlastern und Jeeps und riegelten es hermetisch ab: Jede Verbindung zwischen der Stadt Laâyoune und dem «Lager der Würde» sollte unterbunden werden.

Angesichts der massiven Proteste suchten die marokkanischen Behörden vorerst den Dialog. Der Innenminister war vor Ort und man nahm mit den Repräsentanten des Lagers Verhandlungen auf. Am 4. November hatten sich 9 junge Leute als Sprecher des Protestlagers am Sitz des Wali von Laâyoune mit dem marokkanischen Innenminister darauf geeinigt, dass ab Montag, 8. November, mit der Auflösung des Lagers begonnen würde – nachdem Marokko versprochen hatte, auf Forderungen der sahraouischen Bevölkerung einzugehen.
Doch es kam anders!

Zerstörung des Zeltlagers

Im Morgengrauen des 8. November 2010 rückten die marokkanische Armee und Polizei mit Baggern und Hubschraubern gegen das sahraouische Lager vor, überfielen die Leute mit Tränengas und Wasserwerfern, setzten Zelte in Brand und zerstörten die Zeltstadt. In den sozialen Medien kursierten unmittelbar darauf Fotos von Leuten, die in panischer Angst schreiend herumrennen und versuchen, sich vor dem sich ausbreitenden Feuer in Sicherheit zu bringen.

In der Folge eskalierten die Vorgänge. Die aufgebrachte sahraouische Bevölkerung griff in Laâyoune und anderswo Symbole der marokkanischen Besatzungsmacht an, Fahnen wurden heruntergerissen, Polizeiposten und Verwaltungsgebäude angegriffen, auch Brände gelegt. Und die marokkanische Polizei, unterstützt von Spezialtruppen, einer Art «Bürgerwehr» im Sold von Marokko, drangen in Häuser von sahraouischen Familien ein und zerstörten deren Hab und Gut. Hunderte von jungen Sahraouis wurden verhaftet, die meisten nach einiger Zeit «provisorisch» wieder entlassen, was bedeutete, dass die jederzeit wieder eingekerkert werden konnten.

Bilanz der Unruhen

Es gibt bis heute keine gesicherten Angaben zu diesen Unruhen, die Aussagen sind äusserst widersprüchlich. Menschenrechtsorganisationen berichteten von 723 verletzten und 159 verschwundenen Sahraouis in den besetzten Gebieten. Die marokkanischen Behörden sprechen von 11 getöteten Ordnungskräften – von denen aber bis heute keine Namen bekannt sind, es wurden keine Untersuchungsberichte vorgelegt, es gibt keine Analysen von DNA oder Autopsie-Berichte.

Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (www.hrw.org/de) hatte nach zweimaliger Abweisung schliesslich von Marokko doch die Erlaubnis erhalten, in der Westsahara eine erste Untersuchung zu machen. Am 26. November 2010 veröffentlichte HRW einen vorläufigen Bericht, in dem sie die Misshandlung der sahraouischen Zivilbevölkerung durch die marokkanischen Sicherheitskräfte klar belegen konnte, trotz dem beschränkten Zugang zur Bevölkerung.

Und was tut die MINURSO?

Seit 1991 ist die MINURSO, die UNO-Friedenstruppe für die Westsahara, in Laâyoune stationiert. «Die Menschenrechte werden hier grob verletzt, wie in allen arabischen Ländern», gibt der Chef der MINURSO dem Journalisten der Berliner Zeitung (6.11.2010) gegenüber freimütig zu .«Aber dies zu untersuchen oder zu stoppen gehört nicht zu unserem Mandat.» So schaut die UNO-Truppe zu und lässt es geschehen.

2013 und 2017 – Skandalöse Gerichtsurteile

24 sahraouische Menschenrechtsaktivisten wurden in der Folge verhaftet. Unter ihnen sind auch sechs der neun Sahraouis, die als Unterhändler mit dem marokkanischen Innenminister über eine Einigung verhandelt und anschliessend mit ihm gegessen hatten. Während mehr als zwei Jahren blieben 23 Sahraouis in Untersuchungshaft; einem von ihnen, Hassana Aalia, war die Flucht nach Spanien gelungen.

Im Februar 2013 kam es zum Prozess vor dem Militärgericht in Salé gegen die 24 Sahraouis. Die Anklage lautete auf «Bildung einer kriminellen Bande und Gefährdung der inneren und äusseren Sicherheit des Staates». Zudem wird ihnen die Ermordung oder Beihilfe zum Mord an 11 marokkanischen Sicherheitskräften während der Unruhen von Gdeim Izik zur Last gelegt, obschon einige von ihnen nachweislich an diesem Tag gar nicht in Gdeim Izik waren. So war beispielsweise der Jurist Naâma Asfari, der bei den marokkanischen Behörden als Rädelsführer gilt, bereits am Vorabend der Zerstörung des Zeltlagers von Gdeim Izik verhaftet worden. Von den – angeblich – getöteten marokkanischen Polizisten gibt es bis heute keine Namen, weder wurde von Marokko jemals ein Untersuchungsbericht vorgelegt, noch Berichte über Autopsien, Fingerabdrücke oder DNA-Analysen und es gibt keine Ort- und Zeitangaben der Vorfälle. Wo sind die Leichen der 11 getöteten Ordnungskräfte? Trotzdem verhängte das Gericht harte Haftstrafen von 20 Jahren bis zu lebenslänglich.

Nach einer Reform der Militärjustiz in Marokko, aufgrund der «Partnerschaft für Demokratie mit dem Europarat», die verlangt, dass Zivilpersonen nur von einem Zivilgericht verurteilt werden dürfen, wurde der Prozess 2017 neu aufgenommen. Doch die Urteile des Zivilgerichts fielen kaum anders aus als 2013: achtmal lebenslänglich, dreimal 30 Jahre, fünfmal 25 Jahre, dreimal 20 Jahre. Und nach wie vor gibt es keine Beweise für die Anklagepunkte. Nach wie vor stützt sich die Anklage einzig auf Geständnisse, die unter Folter gemacht worden sind, und die von den Gefangenen während des Prozesses widerrufen worden waren.

Anwälte und Anwältinnen verschiedener Länder hatten als BeobachterInnen den beiden Prozessen beigewohnt und übereinstimmend festgestellt, dass die Verfahren «weder nach international anerkannten Normen noch nach dem in Marokko geltenden Recht» als gerecht bezeichnet werden könnten.

Die Gefangenen von Gdeim Izik

Nach dem zweiten Prozess von 2017 wurden die sahraouischen Gefangenen auf fünf Gefängnisse in Marokko aufgeteilt – mit dem Ziel, sie zu isolieren und den Kontakt mit ihren Familien zu erschweren. Damit verletzt Marokko Artikel 76 der 4. Genfer Konvention, der bestimmt, dass Häftlinge in besetzten Gebieten in ihrer Region inhaftiert werden müssen. Das Besuchsrecht ist für Sahraouis massiv eingeschränkt: Es werden einmal pro Monat maximal drei Familienangehörige mit demselben Namen für eine Dauer von 30 Minuten zugelassen – dafür müssen diese mehr als tausend Kilometer weit reisen! Immer wieder werden auch Besuchsgesuche abgelehnt und telefonische Kontakte sind auf einmal pro Woche beschränkt.

Die Gefangenen berichten von Misshandlungen, von bis zu 45 Tagen Einzelhaft im «cachot», von fehlender Hygiene, Ernährung und medizinischer Versorgung auch bei chronischen Erkrankungen. Zwei Gefangene sind unterdessen wegen mangelnder medizinischer Versorgung und Spätfolgen von Folter gestorben, Hassana Elouali im Jahr 2014 und Mohamed El Ayoubi Anfang 2018.

Die Gefangenen und ihre Familien haben immer wieder Beschwerden gegen die Haftbedingungen eingereicht und als Protest gegen die ungerechten Gerichtsurteile haben die Gefangenen in den letzten Jahren mehrere Hungerstreiks durchgeführt. Doch ohne Erfolg. Die Verteidigung hat Beschwerde gegen das Urteil von 2017 beim Kassationsgericht eingereicht; diese soll laut Informationen aus Marokko am 24. November 2020 behandelt werden.

Plünderung der Ressourcen

Die Westsahara ist eine potentielle Schatzkammer. Es gibt nicht nur die Phosphatminen von Bou Craâ und die fischreichen Küstengewässer, es sind auch andere Bodenschätze bekannt wie Eisen in Agrascha (nahe Zouérate), Vanadium, Wolfram, Platin, Gold, Chrom, Zinn, Mangan, Kupfer oder Nickel; Uran und Erdöl werden vermutet. Aktuell werden auch die Nutzung der Sonnenenergie oder der Export von Sand ein Thema. Marokko versucht, mit möglichst vielen internationalen Firmen Nutzungsverträge abzuschliessen, um Nutzen aus dem Gebiet zu ziehen, aber auch um dadurch ihren Anspruch auf die Westsahara international anerkennen zu lassen.

Laut den Genfer Konventionen (Resolution 2625 vom 24. Oktober 1970) kann eine Besetzungsmacht die natürlichen Ressourcen eines besetzten Gebietes nicht veräussern, sondern ist verpflichtet, diese zu schützen und darf die Ressourcen eines nicht-autonomen Gebiets nur dann nutzen, wenn die autochthone Bevölkerung dem zustimmt und davon profitiert.

Gegen die Plünderung der Westsahara hat sich eine aktive internationale Bewegung formiert (www.wsrw.org), und auch in den Flüchtlingslagern und den besetzten Gebieten protestiert die Bevölkerung gegen die missbräuchliche Ausbeutung ihres Landes.

Es besteht kaum eine Möglichkeit, aus den besetzten Gebieten der Westsahara frei und unabhängig zu berichten. Ausländische Journalisten werden entweder intensiv und offenkundig von Angehörigen des Innenministeriums, der Sicherheitskräfte und der Geheimpolizei «betreut» oder können erst gar nicht einreisen. Der Bericht von Reporter ohne Grenzen von 2019 gibt ein Bild von dieser Situation.