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Die Geschichte der letzten Kolonie Afrikas

Der Westsahara-Konflikt:
Geschichte einer verhinderten Selbstbestimmung

1884 – 85 An der Berliner Kongokonferenz teilen die europäischen Grossmächte, unter der Leitung von Otto von Bismarck, Afrika unter sich auf: Spanien sichert sich das Gebiet der Westsahara, die Gebiete der Saghiet el Hamra und des Rio de Oro als Kolonie Spanisch-Sahara.
1956 Im Sommer 1956, wenige Monate nach der Unabhängigkeit Marokkos, erhebt Allal El-Fassi, der Führer der marokkanischen Unabhängigkeitspartei Istiglal, Anspruch auf die südlich an Marokko angrenzenden Gebiete mit der Begründung, dass historisch ein «Gross-Marokko» existiert habe bis zum Senegalfluss, einschliesslich der Westsahara und grosser Teile von Westalgerien. Eine entsprechende Karte wird am 7. Juli 1956 in der Parteizeitung Al-Alam veröffentlicht.

Karte von Gross-Marokko, in Barbier 1982:77

 

1958 Das Territorium der Sahara wird von Spanien zu einer Überseeprovinz erklärt: Damit werden alle Sahraouis nominell zu spanischen BürgerInnen.
1960 Mit der Resolution 1514 bekräftigt die UNO-Vollversammlung das universelle Recht auf Selbstbestimmung für alle «unter kolonialer Herrschaft oder ausländischer Besetzung stehenden Völker» (Gebiete ohne Selbstregierung) und erklärt, dass die universelle Verwirklichung dieses Rechts «eine Grundvoraussetzung für die tatsächliche Gewährleistung und Einhaltung der Menschenrechte» darstelle. Zu diesen Gebieten zählt auch das Territorium der Westsahara.
Für die Resolution stimmten laut Protokoll 184 Länder, 7 Länder dagegen: Kanada, Israel, Marshallinseln, Mikronesien, Nauru, Palau und die USA).
1965 In der Resolution 2072 von 1965 wird Spanien ausdrücklich aufgefordert, der Bevölkerung seiner Provinz Spanisch-Sahara das Recht auf Selbstbestimmung zu gewähren.
Dieses Recht der Bevölkerung der Westsahara wurde seitdem in verschiedenen Resolutionen der UNO-Vollversammlung bis heute immer wieder bestätigt.
1967 Der spanische Diktator Franco verspricht, ein Referendum über den Status der Westsahara durchzuführen.
1970 Demonstration von Zemla: In den späten 1960er Jahren gründet der Sahraoui Mohamed Sidi Ibrahim Bassiri, Koranlehrer in Smara, eine Befreiungsbewegung MLS (Bewegung für die Befreiung von Saghiet el Hamra und Oued ed-Dab). Bassiri will die Unabhängigkeit auf friedliche Weise und in Verhandlungen mit Spanien erreichen, ähnlich wie Ghandi in Indien.
Auf Aufruf der MLS demonstrierten am 7. Juli rund 2000 Sahraouis friedlich in Zemla, einem Stadtteil von El Ayoun, und fordern auf Transparenten die Unabhängigkeit der Westsahara. General Franco lässt die Demonstration durch Fremdenlegionäre zusammenschiessen. Es gibt eine unbekannte Anzahl Tote, Hunderte wurden verhaftet, gefoltert oder sind für immer verschwunden, so auch Mohamed Bassiri; bis heute ist nicht bekannt, was mit ihm geschehen ist.
«Zemla» ist ein Wendepunkt: Für die meisten Sahraouis ist seither klar, dass die Unabhängigkeit nicht auf friedlichem Weg zu haben ist!
1970 Nach verschiedenen Treffen einigen sich Präsident Boumediène (Algerien), König Hassan II. (Marokko) und Präsident Ould Daddah (Mauretanien) am 14. September an einer Konferenz in Nouadhibou, Druck zu machen, um die Dekolonisierung der Westsahara voranzutreiben.
Dass die Teilnehmer der Konferenz aber sehr unterschiedliche Vorstellungen einer Dekolonisierung haben, stellt sich erst später heraus: Algerien will den Sahraouis die Unabhängigkeit ermöglichen, Marokko hingegen vertritt die These von Gross-Marokko.
1971/72 Unzufriedenheit innerhalb der marokkanischen Armee: Es kommt zu verschiedenen Attentaten marokkanischer Militärangehöriger auf König Hassan II.
1973 Sahraouische Studenten der Universität Mohamed V. in Rabat um El Ouali Mustafa Sayed gründen die Frente POLISARIO zur Befreiung der Westsahara.
Am 20. Mai beginnt der bewaffnete Widerstand gegen die spanische Kolonialmacht mit einem Überfall auf einen spanischen Militärposten.
1974 Spanien kündigt die baldige Durchführung einer Volksabstimmung an. Darauf erheben Marokko und Mauretanien Anspruch auf das Gebiet der Westsahara und verlangen von der UNO, ihre Ansprüche durch den Internationalen Gerichtshof in Den Haag prüfen zu lassen.
1975 7. Mai – 8. Juni: Besuch einer UNO-Sonderkommission in Spanisch-Sahara, bestehend aus Simon Ake (Elfenbeinküste / Vorsitzender), Marta Jimenez Martinez (Kuba) und Manouchehr Pishva (Iran). Sie bezeugen in ihrem Bericht an die UNO, dass die POLISARIO, die vor der Ankunft der Mission noch als Geheimorganisation gegolten hatte, die vorherrschende politische Kraft im Territorium sei. «Die Mission wurde in allen Teilen des Territoriums Zeuge von Massendemonstrationen zur Unterstützung der Bewegung.»
1975 Am 16. Oktober veröffentlicht der der Internationale Gerichtshof in Den Haag seinen Standpunkt zur Frage der Westsahara:
1. Die Sahara ist kein Niemandsland: Es gibt eine ansässige Bevölkerung und diese hat ein Recht auf Selbstbestimmung.
2. Es gibt zwar gewisse historische Verbindungen zu Marokko, doch kann daraus kein territorialer Anspruch Marokkos auf die Westsahara abgeleitet werden.
König Hassan II. von Marokko interpretiert dieses Gutachten in seinem Sinne und erklärt: «Die ganze Welt hat anerkannt, dass die Sahara schon seit sehr langer Zeit zu uns gehört.»
1975 «Grüner Marsch»: Mit grosser Medienpräsenz – mehr als 500 geladene JournalistInnen – dringen am 6. November 350’000 marokkanische Zivilisten auf das Gebiet der Westsahara ein, um es «heimzuholen».
Im Hintergrund – unbemerkt und ohne Presse! – beginnt bereits ab dem 31. Oktober klammheimlich die Besetzung der Westsahara durch die Armeen Marokkos und Mauretaniens.
1975 Am 14. November unterzeichnet das damals schwache Spanien (General Franco liegt in Agonie auf dem Totenbett) das Abkommen von Madrid – auf Betreiben des amerikanischen Aussenministers Henry Kissinger und unterstützt von König Juan Carlos, dem designierten Nachfolger Francos.
Wie wir heute wissen: Die Westsahara wird unter Mauretanien und Marokko aufgeteilt; Spanien erhält Anteile an der Phosphatausbeutung in Bou Craâ und Fischereirechte.
1975/76 Im Winter flieht ein Grossteil der sahraouischen Bevölkerung vor den vorrückenden Armeen zuerst ins Landesinnere, dann, nach Bombardierungen mit Napalm und Phosphor durch die marokkanische Luftwaffe, über die Grenze nach Algerien, in die Gegend der Oase Tindouf, wo die algerische Regierung den Sahraouis ein Wüstengebiet zur freien Verfügung gestellt hat. Hier bauen sie Flüchtlingslager als Exilstaat auf.
Während Eroberung der Westsahara und Bombardierung durch Marokko mittels französischer Flugzeuge habe es, laut sahraouischen Quellen, 25’000 Tote gegeben.
1976 27. Februar: Die Mitglieder der Djemâa, des sahraouischen Ältestenrats, rufen in Bir Lehlou den eigenen Staat aus, die Demokratische Arabische Republik Sahara / DARS.
Die Ältesten stellen sich damit hinter die Forderungen der jungen Studenten.
1979 Die UNO-Generalversammlung anerkennt die Frente POLISARIO offiziell als einzige Vertreterin der Sahraouis.
1979 Nach einem internen Machtwechsel unterschreibt Mauretanien ein Friedens-Abkommen mit der Frente POLISARIO, gibt seine Gebietsansprüche auf und zieht sich aus der Westsahara zurück; Marokko besetzt daraufhin auch den Süden des Territoriums.
1975 – 1981 Die sahraouische Befreiungsarmee bedrängt mit ihren mobilen und hoch motivierten Kampfgruppen, die zudem das Gebiet bestens kennen, zunehmend die Soldaten der marokkanischen Armee.
1981 Marokko beginnt mit dem Mauerbau – ein mit amerikanischer Elektronik ausgerüsteter, verminter Wall, finanziert durch Saudiarabien. Diese «Mauer» wird in den folgenden Jahren in mehreren Etappen erweitert und teilt heute die Westsahara in das von Marokko besetzte Gebiet (2/3) im Westen und das «befreite» Gebiet (1/3) unter Kontrolle der Polisario im Osten.
1982 Die DARS wird, gegen den Widerstand von Marokko, als Vollmitglied in die OAU, die Organisation der Afrikanischen Einheit, aufgenommen.
1985 November: Marokko gibt seinen Austritt aus der OAU.
1978 – 1991 Die sahraouische Befreiungsarmee kämpft gegen Marokko, das 2/3 der Westsahara besetzt hält. In den besetzten Gebieten herrscht Repression: Die Sahraouis werden im eigenen Land diskriminiert und ausgegrenzt.
1991 Die UNO und die OAU legen einen Friedensplan vor, den beide Konfliktparteien, Marokko und die Polisario, unterzeichnen. Er sieht die Durchführung einer Volksbefragung vor, die im Anfang des Jahres 1992 stattfinden soll zur Frage «Unabhängigkeit oder Anschluss an Marokko?»
Seit August 1991 sind UNO-Friedenstruppen, die MINURSO, in der Westsahara stationiert mit dem Auftrag, den Waffenstillstand zu überwachen und das Referendum durchzuführen.
Der Waffenstillstand tritt am 6. September 1991 in Kraft.
1992 Die sahraouische Bevölkerung der Flüchtlingslager vertraut dem Fahrplan, wie er im Friedensplan vorgesehen ist, packt ihr Hab und Gut zusammen und bereitet sich auf die Rückkehr vor: Die Schulen werden geschlossen, alle SchülerInnen und Studierende aus dem Ausland werden in die Lager zurückgerufen, um bereit zu sein für die Rückkehr. 1992 wird so zu einem «verlorenen Jahr» in der Ausbildung der jungen Leute.
Und die Sahraouis brauchen viel Kraft und Energie, um die grosse Enttäuschung über das nicht stattgefundene Referendum zu überwinden und das Leben in den Flüchtlingslagern im folgenden Jahr wieder aufzunehmen.
1992 – 1999 Während der Amtszeit von UNO-Generalsekretär Boutros Boutros Ghali liegt der Friedensplan auf Eis. Ein Streit um die Interpretation der Stimmberechtigten blockiert die Durchführung des Friedensplanes: Marokko hat eine Liste von 120’000 «Sahraouis» – in Wirklichkeit MarokkanerInnen! – vorgelegt und verlangt, dass sie in die die Wählerlisten aufgenommen werden.
1997 UNO-Generalsekretär Kofi Annan ernennt den amerikanischen Diplomaten James Baker zum Sonderbeauftragten. Dank dessen Vermittlung einigen sich die beiden Konfliktparteien am 16. September 1997 im Vertrag von Houston auf Kriterien zur Bestimmung der Stimmberechtigten: Mitglieder umstrittener Stämme können sich zur Identifikation melden, jedoch nur individuell und nicht als ganze Stämme. Damit kann die Identifizierung der Stimmberechtigten durch die MINURSO nach zahlreichen Unterbrüchen wieder aufgenommen und am 30. Dezember 1999 endlich abgeschlossen werden.
2000 Am 17. Januar veröffentlicht die MINURSO die Liste der Stimmberechtigten:
Von 198’469 Gesuchen werden 86’386 Personen von der UNO als stimmberechtigt anerkannt!
Dies bedeutet: Es ist Marokko nicht gelungen, marokkanische Staatsangehörige als angebliche Sahraouis in die Liste aufnehmen zu lassen!
Marokko lehnt diese Liste der Stimmberechtigten ab und anerkennt damit den Identifikationsprozess nach den Kriterien des Houston-Abkommens nicht mehr: Das Referendum bleibt blockiert.
2001 Februar: Der «Plan Baker» zur Lösung des Konflikts wird von der UNO vorgestellt: Er sieht die Rückkehr der Bevölkerung in das Gebiet der Westsahara und für die Westsahara den Status einer autonomen Region innerhalb des marokkanischen Staates vor.
Die POLISARIO lehnt den Vorschlag ab und verlangt die Respektierung des Friedensplans von 1991 mit der Durchführung eines Referendums.
2002 Die UNO braucht erstmals in der Resolution S/RES/1429 (2002) zur Westsahara die Formulierung «pour aboutir à une solution politique juste, durable et mutuellement acceptable» («für eine politisch gerechte, nachhaltige und für beide Seiten akzeptierbare Lösung»), erklärt aber andererseits, dass sie nach wie vor das Selbstbestimmungsrecht der Sahraouis zum Ziel hat.
=> Wie kann es eine von beiden Konfliktparteien akzeptierte Lösung geben, bei so weit auseinanderliegenden Zielen?
2003 Mai: Der «Plan Baker II» wird vorgestellt: Nach der Rückkehr in die Westsahara soll die sahraouische Bevölkerung eine Regierung und ein Parlament aus ihren Reihen wählen für eine Übergangszeit von 5 Jahren mit weitgehender Autonomie, garantiert durch die UNO. Nach spätestens 5 Jahren soll ein Referendum durchgeführt werden, für das auch all jene – marokkanischen – Personen zugelassen sein sollen, die seit 1999 ununterbrochen in der Westsahara wohnen.
Die POLISARIO akzeptiert diesen Plan II, obschon er von den Sahraouis grosse Konzessionen verlangt.
Marokko hingegen lehnt den Plan definitiv ab: Es will keine Volksbefragung!
2004 Juni: James Baker gibt seinen Job als Vermittler resigniert auf.
September: Südafrika anerkennt die DARS als Staat!
2005 Am 26. Mai beginnen die Sahraouis in den besetzen Gebieten der Westsahara mit regelmässigen gewaltfreien Demonstrationen: Sie verlangen Arbeit, bessere Lebensbedingungen, die Durchführung des Referendums und die Unabhängigkeit.
Seitdem kommt es täglich zu Unruhen, denn die marokkanische Polizei und Armee antworten mit grosser Repression auf die Kundgebungen.
2006 27. Februar: Die POLISARIO hat das Abkommens gegen Anti-Personen-Minen unterzeichnet, darauf vernichtet die DARS ihre Lager an Anti-Personen-Minen im Beisein internationaler BeobachterInnen.
2007 Im April stellt Marokkos König Mohamed VI. einen Plan vor für eine Autonomie der Westsahara innerhalb des marokkanischen Staates:
1. Marokko behält die Souveränität über die Westsahara; diese ist integraler Teil des marokkanischen Staatsgebiets; die Flagge bleibt marokkanisch. Marokko behält Aussenpolitik, Sicherheit, Religionsfragen und die oberste Jurisdiktion.
2. Die Region Westsahara erhält eine Autonomie, eine eigene Regionalregierung und ein Parlament, sowie Selbständigkeit in administrativen, steuerlichen und kulturellen Belangen und soll über Ressourcen, Infrastruktur und Wirtschaft weitgehend selber befinden können.
Die POLISARIO lehnt den Plan als grundsätzlich unannehmbar ab, da der Plan das Selbstbestimmungsrecht der Sahraouis ignoriert und die Unabhängigkeit der Westsahara ausschliesst. Sie schlägt Marokko aber enge Sicherheits- und Wirtschaftsbeziehungen mit einer unabhängigen Westsahara vor, u.a. im Rahmen eines vereinigten Maghreb – was Marokko seinerseits ablehnt.
2007 Ein Fischerei-Abkommen zwischen der EU und Marokko (gültig bis 2011) ermöglicht es den europäischen Fischern, insbesondere auch aus Spanien, in den marokkanischen Territorialgewässern zu fischen – einschliesslich der Gewässer vor der Küste der Westsahara!
2009 Im November: Marokko verweigert Aminatou Haidar, der sahraouischen Menschenrechtsaktivistin, die Einreise an ihren Wohnort El Ayoun in der besetzten Westsahara, nimmt ihr den Pass ab und schiebt sie nach Spanien ab, weil sie «Sahraouie» als Nationalität angegeben hatte. Erst nach einem 33-tägigen Hungerstreik auf dem Flughafen von Lanzarote, nach weltweit grossen Protesten und politischem Druck bedeutender Politikerinnen wird ihr die Einreise schliesslich erlaubt.
2010 Am 10. Oktober versammeln sich 2000 Sahraouis zum friedlichen Protest gegen ihre Lebensbedingungen unter marokkanischer Besetzung in einer improvisierten Zeltstadt bei Gdeim Izik, nahe der Stadt Laayoune. Nach wenigen Tagen sind es 20’000 (andere Quellen: 40’000) Menschen und 5000 Zelte. Erst verhandeln die marokkanischen Behörden mit den Protestierenden. Dann, am 8. November um 6 Uhr in der Früh greifen die marokkanische Armee und Polizei das Lager an und zerstören es. Die Leute fliehen in Panik. Es kommt zu Unruhen in Laayoune. Bilanz: 11 Tote, 723 Verletzte, 159 Verschwundene. Hunderte werden verhaftet, später provisorisch freigelassen.
24 sahraouische Aktivisten, meist Vertreter von Menschenrechtsorganisationen, bleiben in Haft – ohne Gerichtsurteil.
2012 Ein Freihandelsabkommen für Agrarprodukte wird zwischen der EU und Marokko unterzeichnet, das präferenzielle Zollbedingungen für den Import marokkanischer Produkte in die EU vorsieht. Das Territorium der Westsahara ist im Abkommen nicht explizit ausgeschlossen, damit gilt es stillschweigend auch für Produkte aus der besetzten Westsahara.
Laut Genfer Konventionen können aber die Ressourcen eines Landes von einer Besetzungsmacht nur mit der Zustimmung der autochthonen Bevölkerung genutzt werden und dies nur, wenn diese Bevölkerung den Nutzen davon hat.
=> Die POLISARIO klagt vor dem Europäischen Gerichtshof gegen das Abkommen.
2013 16./17. Februar: Das Militärgericht von Salé/Rabat verurteilt die 24 sahraouischen Gefangenen von Gdeim Izik in einem fragwürdigen Prozess, ohne Beweise, nur mit Geständnissen, die unter Folter zustande gekommen sind, wegen «Bildung einer kriminellen Bande und Gefährdung der Sicherheit des Staates» zu hohen Gefängnisstrafen: 9x lebenslänglich, 4x 30 Jahre, 7x 25 Jahre, 3x 20 Jahre, 2x Dauer der U-Haft. Sie werden verantwortlich gemacht für den Tod von marokkanischen Polizisten und Sicherheitsbeamten, von denen weder die Namen bekannt sind, noch je Untersuchungsberichte (Autopsie-Berichte) vorgelegt wurden und obschon einige der verurteilten Sahraouis am 8. November erwiesenermassen im Ausland, resp. bereits in marokkanischer Haft waren.
2015 23. Juni: Die POLISARIO verpflichtet sich gegenüber dem Schweizer Bundesrat, die Genfer Konventionen einzuhalten; der Bundesrat nimmt die Verpflichtung an.
2016 Zum 40. Jahrestags des Konflikts verlangen die Afrikanische Union und diverse Unterstützungskomitees – auch das SUKS – von der UNO, endlich das Referendum durchzuführen.
UNO-Generalsekretär Ban Ki-moon bezeichnete am 5. März 2016 bei seinem Besuch bei den Sahraouis die Westsahara als «besetzte Gebiete». Diese Formulierung provozierte geharnischte Reaktionen des marokkanischen Königreichs. Es kommt zu Massenkundgebungen und Beschimpfungen gegen Ban Ki-moon sowie am 25. März zur Ausweisung aller 84 zivilen Mitglieder der UN-Mission MINURSO mit der Begründung, der Generalsekretär sei nicht mehr neutral.
2016 Urteil des EU-Gerichtshofs: Am 21. Dezember gibt der EU-Gerichtshof seine Ansicht bekannt: Handels- und Fischereiabkommen zwischen der EU und Marokko sind nicht auf das Gebiet der Westsahara anwendbar, da diese nicht Teil von Marokko ist.
Der EuGH fällt gleichlautende Urteile am 21. Februar 2018 und am 30. November 2018.
2017 Marokko ist wieder Mitglied der Afrikanischen Union, nachdem es die Vorgänger-Organisation OAU 1985 aus Protest gegen die Aufnahme der DARS verlassen hatte.
2018 Am 5. und 6. Dezember kommt es in Genf, nach 6 Jahren Unterbruch, zu direkten Gesprächen zwischen VertreterInnen der POLISARIO und Marokkos unter dem Vorsitz des UNO-Sonderbeauftragten Horst Köhler (ehemaliger deutscher Bundespräsident). Die marokkanische Delegation besteht aus sahraouischen Notabeln aus den besetzten Gebieten. Damit soll der POLISARIO die Legitimation abgesprochen werden, die Sahraouis zu vertreten: Ein Referendum für die Selbstbestimmung der Sahraouis soll vom Tisch und nur noch die Autonomie der Westsahara innerhalb von Marokko ein Thema sein. Die Gespräche gehen ohne Resultate zu Ende. Ein zweites Treffen, vorgesehen für März 2019, kommt nicht mehr zustande.
2019 Zu Beginn des Jahres verabschiedet das EU-Parlament auf Veranlassung der EU-Kommission, entgegen dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs, ein neues Handels- und Fischereiabkommen mit Marokko, das die Westsahara ausdrücklich einschliesst. Begründung: Es seien zahlreiche Organisationen in der Westsahara (pro-marokkanische Sahraouis!) befragt worden und die Mehrzahl habe das Abkommen mit Zollpräferenzen auch für die Westsahara begrüsst.
Nicht erwähnt werden von der EU-Kommission die 89 sahraouischen Organisationen aus den besetzten Gebieten, den Flüchtlingslagern und der sahraouischen Diaspora in Europa und Übersee, die dieses Abkommen ablehnen!
2019 Im Juni reicht Horst Köhler seine Demission als UNO-Sonderbeauftragter ein.
2019 Im Oktober erhält Aminatou Haydar zusammen mit Guo Jianmei, Davi Kopenawa und Greta Thunberg den Alternativen Nobelpreis für ihre gewaltfreie Haltung im Kampf für das Selbstbestimmungsrecht der Sahraouis.
2020 Das marokkanische Kassationsgericht weist die Beschwerde der Gefangenen von Gdeim Izik ab – die Urteile sind damit bestätigt.
2020 Seit dem 10. Oktober protestieren sahraouische Zivilpersonen in der Pufferzone von Guerguerat, an der südlichen Grenze der Westsahara, gegen die marokkanische Besetzung und für ein Referendum und blockieren zeitweise die Strasse zwischen der Westsahara und Mauretanien.
Den Grenzübergang Guerguerat dürfte es eigentlich gar nicht geben, da er in der Pufferzone – auf entmilitarisiertem – Gebiet liegt und er bei Unterzeichnung des Waffenstillstands von 1991 nicht existierte.
Am 13. November dringen marokkanische Streitkräfte in diese Pufferzone ein, die unter Kontrolle der POLISARIO steht, um die friedlichen DemonstrantInnen zu vertreiben. Für die POLISARIO hat Marokko damit den Waffenstillstand gebrochen – und die UNO tut nichts!
=> Damit ist der Waffenstillstand aus Sicht der POLISARIO zum toten Papier geworden.
2020 20. November: Die Sahraouis nehmen den bewaffneten Kampf wieder auf.
Fast täglich beschiesst die sahraouische Armee seither marokkanische Stellungen entlang des 2’700 Kilometer langen Sandwalls.
Seit Wiederaufnahme der Kämpfe 2020 werden Menschenrechtsaktivisten in den besetzten Gebieten rund um die Uhr engmaschig überwacht.
2020 Am 10. Dezember anerkennt der amerikanische Präsident Donald Trump die Souveränität Marokkos über die Westsahara – als erstes Land der Welt. Im Gegenzug verspricht Marokko im «Abraham-Abkommen», die Beziehungen zu Israel zu normalisieren.
Der Nachfolger von Donald Trump, Präsident Joe Biden, bewahrt zwar Stillschweigen, macht aber die Anerkennung nicht rückgängig.
2020 In Folge der aktiven Aussenpolitik Marokkos eröffnen folgende Länder Konsulte oder Generalkonsulate in Laayoune (besetzte Westsahara): Bahrein, Elfenbeinküste, Komoren, Burkina Faso, Burundi, Djibouti, Eswatini, Gabun, Gambia, Guinea, Guinea-Bissau, Äquatorialguinea, Liberia, Zentralafrikanische Republik, Sao Tome & Príncipe, Sambia, Haiti, Republik Kongo, Arabische Emirate,
2021 folgen die Länder Jordanien, Malawi, Senegal, Sierra Leone, Surinam,
2022 folgt Togo.
2022 Am 22. September fällt der Afrikanische Gerichtshof für Menschenrechte und Rechte der Völker ein Urteil, in dem er feststellte, dass die Besetzung der Westsahara durch Marokko eine Verletzung des Rechts auf Selbstbestimmung und Unabhängigkeit darstellt und dass alle Staaten verpflichtet sind, das Volk der Westsahara in seinem Kampf um Selbstbestimmung zu unterstützen.
2023 18. Juli: Israel anerkennt die Souveränität Marokkos über die Westsahara, im Gegenzug soll Marokko die Sache der PalästinenserInnen nicht mehr unterstützen.

Die politische Lage ist weiterhin blockiert.
Die Standpunkte der beiden Konfliktparteien sind unvereinbar: Marokko besteht auf einer Integration der Westsahara in den marokkanischen Staat, die POLISARIO auf dem Recht auf Selbstbestimmung für die Sahraouis und der Durchführung eines Referendums, wie es von den UNO-Resolutionen vorgesehen wird.

Nachgeführt Bä / SUKS: 04.01.2024